Kostenrechnung und Krisen-Frühdiagnose

von Prof. Dr. Ulrich Krystek und Dipl.-Betriebswirt Ulrich Fahrnschon

Unternehmungskrisen sind nicht zuletzt angesichts der Situation vieler Betriebe in den neuen Bundesländern wieder in das Blickfeld allgemeinen Interesses gerückt. Wenn auch derzeit noch die Krisenbewältigung im Mittelpunkt steht, so darf doch die Notwendigkeit einer Krisen-Frühdiagnose nicht übersehen werden. Dabei spielt die Kostenrechnung als Diagnoseinstrument eine bemerkenswerte Rolle(1).

I. Unternehmungskrisen als überlebenskritische Prozesse

Unternehmungskrisen sind ungeplante und ungewollte, zeitlich begrenzte Prozesse mit ambivalentem Ausgang. Sie können den Fortbestand der Unternehmung substantiell gefährden oder sogar unmöglich machen, indem sie dominante Ziele beeinträchtigen, deren Gefährdung bzw. Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer Existenzgefährdung bzw. -vernichtung der Unternehmung(2).

Ursachen von Unternehmungskrisen

Ursachen von Unternehmungskrisen sind grundsätzlich inner- und außerhalb der Unternehmung zu suchen. Die bisherigen Ergebnisse betriebswirtschaftlicher Krisenursachenforschungen lassen einen hohen Anteil endogener Krisenursachen erkennen, unter denen Führungsfehler (Managementfehler) eine dominierende Stellung innehaben(3). Im Einzelfall dürfte jedoch eine Kombination exo- und endogener Faktoren, wenn auch jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten, krisenverursachend sein. Angesichts zunehmender Umweltdiskontinuitäten könnte exogenen Faktoren als Krisenursachen steigende Bedeutung zukommen.

Verlauf von Unternehmungskrisen

Der Verlauf von Unternehmungskrisen als Prozesse ist in charakteristische Phasen unterteilbar (Abb. 1), die speziell im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Krisen-Frühdiagnose von Bedeutung sind:

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Abb. 1: Aggregatzustände des generellen Krisenprozesses

1. Phase: Potentielle Unternehmungskrise

Der Krisenprozeß beginnt bei umfassender Betrachtung mit der Phase der potentiellen, d.h. lediglich möglichen und noch nicht realen Krise. Diese wegen fehlender Krisensymptome als Quasi-Normalzustand der Unternehmung zu bezeichnende Phase, in der sich die Unternehmung praktisch ständig befindet, markiert den (zumindest gedanklichen) Ausgangspunkt von Unternehmungskrisen.

2. Phase: Latente Unternehmungskrise

Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die verdeckt bereits vorhandene oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bald eintretende Unternehmungskrise, die in ihren Wirkungen für die betroffene Unternehmung mit deren herkömmlichen Instrumentarien allerdings noch nicht wahrnehmbar ist.Bei Anwendung geeigneter Methoden der Früherkennung erlaubt diese Phase jedoch eine aktive Beeinflussung einer latenten Unternehmungskrise durch präventive Strategien und Maßnahmen.

3. Phase: Akute, beherrschbare Unternehmungskrise

Hier treten Krisensymptome offen zutage, womit die in den vorherigen Phasen relevante Identifikations-/Früherkennungsproblematik entfällt. Zugleich verstärkt sich die Intensität der gegen die Unternehmung gerichteten destruktiven Wirkungen, was erhöhten Zeitdruck und Entscheidungszwang bedingt. Bei zunehmender Vernichtung von Handlungsmöglichkeiten durch Zeitablauf erhöhen sich die Krisenbewältigungsanforderungen. Dennoch wird in dieser Phase eine Bewältigung (Beherrschung) der akuten Unternehmungskrise unterstellt, da das zur Verfügung stehende Krisenbewältigungspotential noch ausreichend für die Zurückschlagung der eingetretenen Krise ist.

4. Phase: Akute, nicht beherrschbare Unternehmungskrise

Gelingt es nicht, die akute Unternehmungskrise zu beherrschen, tritt der Krisenprozeß in seine letzte Phase, die mit der Vernichtung der Unternehmung endet. In dieser Phase übersteigen die Krisenbewältigungsanforderungen das insgesamt verfügbare Krisenbewältigungspotential nachhaltig. Die Beherrschung des Krisenprozesses wird insbesondere durch fortlaufenden Wegfall von Handlungsalternativen, extremen Zeitdruck und zunehmende Intensität der gegen die Unternehmung gerichteten (destruktiven) Krisenwirkungen unmöglich. Früherkennungsaktivitäten erübrigen sich in dieser Phase wegen des unausweichlichen Endes der Unternehmung.

Der zuvor dargestellte Krisenprozeß stellt ein Denkmodell dar, in dem die einzelnen Phasen lediglich als mögliche aufeinanderfolgende Ereigniskomplexe ohne zwingende zeitliche Reihenfolge zu verstehen sind.

Wirkungen von Unternehmungskrisen

Gemeinhin werden Wirkungen von Unternehmungskrisen als destruktiv empfunden. Solche Wirkungen betreffen häufig nicht nur die jeweilige Unternehmung selbst, sondern werden auch für ihr Umsystem relevant. Sie können sogar zu überlebenskritischen Bedrohungen für Unternehmungen und andere Institutionen werden, die mit der krisenbefallenen Unternehmung in Beziehung stehen. Grundsätzlich kommen destruktive Wirkungen von Unternehmungskrisen in der Nichterreichung von überlebensrelevanten Zielen der krisenbefallenen Unternehmung zum Ausdruck; sie manifestieren sich z.B. im Verlust von Arbeitsplätzen, von Kunden/Lieferanten, des eingesetzten Kapitals.

Neben den beschriebenen destruktiven Wirkungen dürfen konstruktive Wirkungen von Unternehmungskrisen nicht verkannt werden. Unternehmungskrisen bieten nämlich auch die Möglichkeit, tiefgreifende Änderungen vorzunehmen, neue Konzeptionen zu entwickeln und erstarrte Strukturen aufzubrechen.

Aus dem oben beschriebenen Phasenverlauf von Unternehmungskrisen ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit einer möglichst frühzeitigen Krisenerkennung, will man die Krise bewältigen oder sogar vermeiden. Krisensymptome können frühestens in der Phase der latenten Unternehmungskrise geortet werden, wozu es allerdings spezieller Frühdiagnoseinstrumente, sog. Frühwarnsysteme, bedarf. Als Frühwarnsysteme sind Informationssysteme zu bezeichnen, die ihren Benutzern so rechtzeitig Hinweise auf verdeckt bereits vorhandene Unternehmungskrisen geben, da noch ausreichend Zeit zum Ergreifen wirksamer Gegenmaßnahmen verbleibt(4).

II. Mitwirkung der Kostenrechnung bei einer Krisen-Frühdiagnose mit Hilfe von Frühwarnsystemen

1. Zum Verhältnis zwischen Kostenrechnung und Krisen-Frühdiagnose

Was eine Krisen-Frühdiagnose mit Hilfe der Kostenrechnung betrifft, so wäre es allein schon aus Wirtschaftlichkeitsgründen zweckmäßig, die Kostenrechnung – ein ohnehin in der Unternehmung vorhandenes Informationssystem – als Frühdiagnoseinstrument zu nutzen. Somit wäre ein eigens für diesen Zweck zu entwickelndes und zu implementierendes Informationssystem nicht erforderlich, vielmehr könnte die Kostenrechnung als quasi-automatisches Frühwarnsystem betrachtet werden(5). Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass die Kostenrechnung in ihrer bisherigen Struktur nicht in der Lage ist, diesem Anspruch zu genügen, insbesondere wegen ihres deutlichen Vergangenheitsbezugs (Ist-/Normalkostenrechnung). Selbst die Plankostenrechnung kann die Aufgaben der Krisen-Früherkennung nicht mit der notwendigen Sicherheit erfüllen, da sie aufgrund ihres Prognosecharakters lediglich potentielle, nicht aber latent vorhandene Zustände/Entwicklungen zum Gegenstand hat.

Gleichwohl kommt Krisen-Frühdiagnose mit Hilfe von Frühwarnsystemen in der Praxis nicht ohne fundamentale Beiträge aus der Kostenrechnung aus. Dabei läßt sich die Kostenrechnung in ihrer Mitwirkungsfunktion den eigenorientierten (betrieblichen) Frühwarnsystemen zurechnen, die auf Bedrohungen der eigenen Unternehmung abzielen. Demgegenüber beziehen sich die in Abbildung 2 ebenfalls dargestellten fremdorientierte Frühwarnsysteme auf Bedrohungen bei Marktpartnern, insbesondere Kreditnehmern. Bei Berücksichtigung der historischen Entwicklungsstufen von Frühwarnsystemen können betriebliche (eigenorientierte) Frühwarnsysteme der ersten, zweiten und dritten Generation unterschieden werden. Diese Differenzierung nach Generationen soll bei der nachfolgenden Beurteilung der Kostenrechnung hinsichtlich ihrer Eignung als Frühdiagnoseinstrument strukturbestimmend sein.

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Abb. 2: Eigen- und fremdorientierte Frühwarnsysteme im einzelwirtschaftlichen Bereich

2. Kostenrechnung und Frühwarnsystem der ersten Generation

Frühwarnsysteme der ersten Generation basieren auf der Verwendung von Kennzahlen und Hochrechnungen zum Zwecke der frühzeitigen Diagnose latent bereits vorhandener Prozesse überlebenskritischen Charakters.

a) Kostenrechnung und kennzahlenorientierte Frühwarnsysteme

Wesen: Bei dieser Form der Frühwarnung geht es darum, verdeckt bereits vorhandene Krisenprozesse durch innerbetrieblichen Vergleich von Kennzahlen verschiedener Perioden oder zwischenbetrieblichen Kennzahlenvergleich frühzeitig zu erkennen(6). Negative Entwicklungen drücken sich dabei darin aus, dass die sich zwischen den Werten jeweiliger Kennzahlen ergebenden Differenzen eine bestimmte Größenordnung über- oder unterschreiten. Als Quellen für die Ermittlung von Kennzahlen – hier verstanden als quantitative, willentlich verdichtete Informationen über betriebswirtschaftlich relevante Sachverhalte(7) – stehen prinzipiell alle Aktionsbereiche der Unternehmung zur Verfügung, wobei ein wesentlicher Teil der dafür erforderlichen Informationen aus dem betrieblichen Rechnungswesen herzuleiten ist(8).

Gliedert man die Kostenrechnung in ihre “klassischen” Subsysteme Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung, so lassen sich dort jeweils Ansätze zur Generierung von Kennzahlen mit Frühwarneigenschaften nachweisen, von denen nachfolgend einige exemplarisch dargestellt werden sollen.

Als aus der Kostenartenrechnung abzuleitende Kennzahlen mit Früherkennungseigenschaften können insbesondere die (Veränderungen der) Kostenstrukturanteile betrachtet werden, vor allem dann, wenn eine Tendenz zu erkennen ist(9). In jedem Fall sind jedoch vor der Einleitung entsprechender Maßnahmen Ursachenanalysen festgestellter Veränderungen erforderlich.

Als Kennzahl, die der Kostenstellenrechnung entstammt, besitzt die “Forschungsintensität” – definiert als Quotient aus FuE-Kosten (Forschungs- und Entwicklungskosten) und Gesamtleistung – für den FuE-Bereich Frühwarneigenschaften hinsichtlich der Erfolgspotentiale künftiger Perioden(10). Eine für den Absatzbereich relevante Kennzahl ist die “Vertriebserfolgsquote” (Vertriebskosten dividiert durch Umsatz), die Aussagen über Veränderungen der Effizienz der Vertriebsaktivitäten zuläßt(11).

Zu den prägnantesten Kennzahlen mit Frühwarneigenschaften zählen nach allgemeinem Verständnis die in der Kostenträgerrechnung ermittelten Stückkosten der produzierten Leistungen und – auf einer niedrigeren Aggregationsstufe – die Bestandteile dieser Stückkosten.

Beurteilung: Ansatzpunkt bei der Beurteilung von Kennzahlen hinsichtlich ihres Frühwarnpotentials muß der Begriff der Frühwarnung selbst sein. Damit ist das zentrale Problem der Verfügbarkeit von Kennzahlen mit zeitlichem Vorlauf vor der zu signalisierenden Entwicklung angesprochen. Viele der durch Kennzahlen abgebildeten Sachverhalte sind bereits beendete Prozesse. Unter Berücksichtigung der Anforderungen, die an eine “echte” Frühwarnung zu stellen sind (Frühzeitigkeit, diagnostische Stärke, Glaubwürdigkeit sowie zukunftsorientierte Bedeutung der Indikation), wird klar, dass bestenfalls einem (geringen) Teil der bekannten Kennzahlen Frühwarneigenschaften zugesprochen werden können.

b) Kostenrechnung und hochrechnungsorientierte Frühwarnsysteme

Wesen: Hochrechnungen (Erwartungsrechnungen) sind eine Form der antizipierenden Kontrolle, bei der ein Vergleich zwischen Planwerten zum Periodenende und voraussichtlichen Istwerten zum Periodenende erfolgt (Soll-Wird-Vergleich). Abweichungen, die sich aus solchen unterjährigen Hochrechnungen ergeben, können als Frühwarninformationen interpretiert werden, die mit zeitlichem Vorlauf Aussagen über die voraussichtlichen Ergebnisse zum Periodenende gestatten.

Hochrechnungen als periodische Vorschaurechnungen basieren häufig auf Formen der Plankostenrechnung und beziehen sich insbesondere auf Kostenstellen und Kostenträger(12); daraus ergibt sich die zentrale Bedeutung der Kostenrechnung für hochrechnungsorientierte Frühwarnung quasi von selbst. Außer in periodischen Planungs- und Kontrollrechnungen werden Hochrechnungen mit großem Erfolg auch für Zwecke der Früherkennung von projektbezogenen Bedrohungen eingesetzt. Da sich Projekte nur schwer in periodische Planungs- und Kontrollrechnungen integrieren lassen, wird in projektbezogenen Planungs- und Kontrollrechnungen bezüglich des Prognosezeitraums zumeist von der Restlaufzeit des Projekts ausgegangen(13).

Beurteilung: Hochrechnungen ermitteln voraussichtliche Istwerte überwiegend auf Basis von quantitativen Prognosen. Quantitative Prognosen erweisen sich jedoch immer nur dann als treffsicher, wenn die durch die Prognosefunktion beschriebenen Parameter der Vergangenheit auch für den Prognosezeitraum gelten. Genau an diesem Punkt setzt die als Explorationsfalle bezeichnete Problematik einer Krisen-Frühwarnung auf Prognosebasis ein. Unerwartete, in der Vergangenheit noch nicht beobachtete Ereignisse und Entwicklungen können von quantitativen Prognosen kaum signalisiert werden. Somit erweist sich auch eine auf Hochrechnungen basierende Krisen-Frühdiagnose als unempfindlich gegenüber Trendbrüchen und Diskontinuitäten von überlebenskritischem Ausmaß.

3. Kostenrechnung und Frühwarnsysteme der zweiten Generation

Wesen: Diese Generation von Frühwarnsystemen arbeitet mit Indikatoren, die als kombiniert quantitativ/qualitativ orientierte Anzeichen für latent bereits vorhandene, aber nicht direkt wahrnehmbare Bedrohungen beschrieben werden können. Frühwarnsysteme der zweiten Generation unterscheiden sich von denen der ersten Generation insbesondere durch eine bei ihnen realisierte systematische Auswahl und Beobachtung von relevanten Erscheinungen/Entwicklungen innerhalb und außerhalb der Unternehmung mittels ausgewählter Indikatoren. Diese Indikatoren signalisieren bedrohliche Prozesse, wenn ihre Istwerte über einen definierten Toleranzbereich hinaus von den Vorgabewerten abweichen. Obwohl Indikatoren unter bewußter Berücksichtigung diskontinuierlicher Entwicklungen zunehmend auch qualitative Aspekte in ihre Aussagen einbeziehen sollen, läßt der für diese Generation charakteristische Soll-Ist-Vergleich die schwerpunktmäßig quantitative Ausrichtung indikatororientierter Frühwarnsysteme erkennen. Kennzahlen (und Hochrechnungen) kommt dabei ein besonders hoher Stellenwert zu, was solchen Systemen häufig den Vorwurf der Kennzahlenlastigkeit eintrug(14).

Der hohe Anteil von auf Kennzahlen und Hochrechnungen basierenden Indikatoren unterstreicht die Bedeutung der Kostenrechnung auch für Frühwarnsysteme der zweiten Generation. Sie ergibt sich – wie bei den Systemen der ersten Generation – aus der Tatsache, dass die für die Kennzahlen und Hochrechnungen erforderlichen Daten zu einem erheblichen Teil aus der Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung stammen.

Eine repräsentative empirische Untersuchung(15) konnte die Existenz durchaus brauchbarer Einzelindikatoren für die wichtigsten Beobachtungsbereiche bestätigen, von denen etwa ein Drittel direkt oder indirekt auf Daten aus der Kostenrechnung beruht.

Beurteilung: Trotz der grundsätzlich positiven Beurteilung von indikatororientierten Frühwarnsystemen sind deutliche Mängel und Schwachstellen solcher Informationssysteme nicht zu verkennen. Ein systemimmanenter Mangel ist darin zu sehen, dass durch die Definition von Beobachtungsbereichen und Indikatoren eine streng gerichtete Suche vorgegeben ist, so dass Bedrohungen außerhalb definierter Beobachtungsbereiche und Indikatoren nicht erkannt werden können. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass Indikatoren das zugrunde liegende Indikandum oft nicht vollständig und jedenfalls nur hilfsweise abbilden. Weiterhin sind die Vorlaufzeiten ausgewählter Indikatoren wegen hoher Diffusionsgeschwindigkeiten häufig zu kurz, nicht konstant oder überhaupt nicht bestimmbar. Schließlich treffen – entsprechend der oftmals kritisierten Kennzahlen- und Hochrechnungslastigkeit indikatororientierter Frühwarnsysteme – die Mängel von Früherkennungssystemen der ersten Generation auch hier zu.

4. Kostenrechnung und Frühwarnsysteme der dritten Generation

Wesen: Krisen-Frühwarnung der dritten Generation – strategische Krisen-Frühwarnung – ist maßgeblich durch das Ansoff’sche Konzept der “schwachen Signale”(16) geprägt. Kern des Ansoff’schen Konzepts ist die These, dass Diskontinuitäten im technologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Bereich nicht blind zufällig auftreten, sondern sich durch sogenannte schwache Signale ankündigen. Schwache Signale (“weak signals”) sind als schlecht definierte und unscharf strukturierte Informationen zu verstehen, die auf strategische Diskontinuitäten (Trendveränderungen/-brüche) hindeuten. Schwache Signale sind z.B. die Verbreitung von neuartigen Meinungen/Ideen, Stellungnahmen von sog. Schlüsselpersonen, Organisationen und Verbänden, Rechtsprechungstendenzen und erkennbare Initiativen zur Veränderung/Neugestaltung von Gesetzgebungen. Der Empfang und die richtige Deutung schwacher Signale erlaubt die Vorbereitung strategischer Handlungsmöglichkeiten bereits im Frühstadium strategischer Diskontinuitäten, bevor die Bedrohungen von selbst klarere Konturen annehmen. Dies ist von zentraler Bedeutung, da jeder zum besseren Erkennen von Bedrohungen notwendige Zeitablauf tendenziell eine Einengung des strategisch relevanten Handlungsspielraums bedeutet(17).

Beurteilung: Grundsätzlich bietet das Konzept strategischer Frühwarnung kaum Raum für den Einsatz von Daten/Informationen aus der Kostenrechnung. Die Handhabung negativer Entwicklungen im strategischen (langfristigen) Bereich ist nämlich an die Voraussetzung gebunden, zu einem Zeitpunkt Gefährdungen zu erkennen und ihnen gegenzusteuern, zu dem Daten aus der (kurzfristig orientierten) Kostenrechnung noch keine Symptome strategischer Probleme aufzeigen können(18). Es erscheint daher nahezu unmöglich, strategisch relevante Informationen aus Zahlen der Kostenrechnung abzuleiten. Nicht zuletzt entspricht es dem Wesen schwacher Signale, dass sie auf qualitativen Informationsrudimenten und nicht auf den “hard facts” des Rechnungswesens aufbauen.

Gleichwohl wird eine bewußte Abkehr der strategischen Frühwarnung von jeglicher Form der Quantifizierbarkeit auch als Mangel angesehen. Zweifelsohne bedeutet die Erfassung schwacher Signale einen Umgang mit “soft facts”, aber schon die Analyse und Relevanzbeurteilung solcher Signale bietet wesentliche Ansatzpunkte für den Einsatz quantitativer Methoden und Modelle. Damit eröffnet sich dann auch die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit der Integration von Daten aus der Kostenrechnung.

Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass einige Bereiche nur deshalb Domänen der strategischen Frühwarnung sind, weil bisher noch keine geeigneten Indikatoren gesucht oder gefunden wurden(19).

III. Ansätze zur Weiterentwicklung der Kostenrechnung als Instrument der Frühdiagnose von Unternehmungskrisen

Der Beitrag der Kostenrechnung zur Krisen-Frühdiagnose bewegt sich generell im Spannungsfeld zwischen tendenziell vergangenheitsorientierter Kostenrechnung und zwingend zukunftsorientierter Krisen-Frühdiagnose. Erste Ansatzpunkte einer Weiterentwicklung können daher in Konzepten zur Verbesserung der Plankostenrechnung hin zu einer mehr zukunftsbezogenen Kostenrechnung gesehen werden.

Ein weiterer Entwicklungsansatz kann in den Bemühungen um einen Ausbau der Kostenrechnung zu einer Erlösrechnung gesehen werden, da eine Vielzahl von Krisenursachen die Erlösseite und damit den Absatzbereich einer Unternehmung tangiert(20).

Eine bereits auf Schmalenbach zurückgehende Grundrechnung und darauf aufbauende Standard- und Sonderauswertungen könnten ebenfalls eine Weiterentwicklung darstellen(21), speziell in ihrer Ausprägung als sog. “Bankenkonzept”. Hierbei werden betriebliche Plan- und Istdaten in einer Datenbank zunächst zweckneutral gesammelt. Diese Daten werden anschließend im Rahmen von Auswertungsrechnungen, die auch für Zwecke der Krisen-Frühwarnung ausgestaltbar erscheinen, auf der Basis von in Modell- und Methodenbanken gespeicherten Verfahren weiterverarbeitet(22).

Der Mangel unzureichender strategischer Orientierung der Kostenrechnung und damit die faktische Unmöglichkeit der Verwendung von Informationen aus der Kostenrechnung für Belange der strategischen Frühwarnung können durch die Entwicklung der Prozeßkostenrechnung reduziert werden. Ihr Ziel ist es, durch größere Kostentransparenz in den indirekten Leistungsbereichen, im Ressourcenverbrauch und der Kapazitätsauslastung sowie durch verbesserte Produktkalkulation strategische Fehlentscheidungen zu vermeiden(23).

Quellenhinweise

(1) Vgl. zu dieser Problematik Krystek, Ulrich: Beitrag der Kostenrechnung zur Krisenfrüherkennung. In: Handbuch Kostenrechnung, hrsg. Von Wolfgang Männel, Wiesbaden 1991.

(2) Vgl. Krystek, Ulrich: Unternehmungskrisen. Beschreibung, Vermeidung und Bewältigung überlebenskritischer Prozesse in Unternehmungen, Wiesbaden 1987, S. 6f.

(3) Auch Mängel im Rechnungswesen allgemein und besonders in der Kostenrechnung sind als Krisenursachen von Bedeutung; vgl. Hauschildt, Jürgen: Aus Schaden klug, in: Manager-Magazin 10/1983, S. 142-152, hier S. 144.

(4) Vgl. Hahn, Dietger – Krystek, Ulrich: Frühwarnsysteme als Instrument der Krisenerkennung; in: Betriebswirtschaftslehre und ökonomische Krise, hrsg. von Staehle, Wolfgang H. – Stoll, Edgar, Wiesbaden 1984, S.3-24, hier S. 4.

(5) Vgl. Felscher, Klaus: Krisenursachen und rechnungsgestützte Früherkennung. Die Eignung ausgewählter Subsysteme des Rechnungswesens zur Diagnose von Gefährdungstatbeständen, Pfaffenweiler 1988, S. 2.

(6) Vgl. Horváth, Péter: Controlling, 3. Aufl., München 1990, S. 510.

(7) Vgl. Weber, Jürgen: Einführung in das Controlling, Stuttgart 1988, S. 93.

(8) Vgl. Staudt, Erich – Groeters, Ulrich – Hafkesbrink, Joachim – Treichel, Heinz-Reiner: Kennzahlen und Kennzahlensysteme. Grundlagen zur Entwicklung und Anwendung, Berlin 1985, S. 270ff.

(9) Vgl. Lachnit, Laurenz: Kostenorientierte Kennzahlen und Kennzahlensysteme; in: krp – Kostenrechnungspraxis, Wiesbaden 1980, Nr. 6, S. 255-264, hier S. 259.

(10) Vgl. Krystek, Ulrich: FuE und Frühwarnsysteme; in: Strategische Unternehmungsplanung. Stand und Entwicklungstendenzen, hrsg. von Hahn, Dietger – Taylor, Bernhard, 4. Aufl.,Heidelberg/Wien 1986, S. 281-305, hier S. 298ff.

(11) Vgl. Oehler, Otto: Checklist Frühwarnsystem mit Kennzahlen, München 1980, S. 64.

(12) Vgl. Hahn, Dietger: Planungs- und Kontrollrechnung – PuK, 3. Aufl., Wiesbaden 1985, S. 90.

(13) Vgl. Krystek, Ulrich – Zur, Eberhard: Projektcontrolling: Frühaufklärung von projektbezogenen Chancen und Bedrohungen. In: Zeitschrift Controlling 6/1991.

(14) Gomez spricht in diesem Zusammenhang von “aufgemöbelten Kennziffernsystemen”; vgl. Gomez, Peter: Frühwarnung in der Unternehmung, Bern 1983, S. 16.

(15) Vgl. Hahn, Dietger – Klausmann, Walter: Aufbau und Funktionsweise von betrieblichen Frühwarnsystemen in der Industrie. Arbeitsbericht Institut für Unternehmungsplanung (IUP), Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen 1979.

(16) Vgl. Ansoff, H. Igor: Managing surprise and discontinuity – strategic response to weak signals; in: ZfbF 1976, S. 129-152.

(17) Vgl. Krystek, Ulrich – Müller-Stewens, Günter: Grundzüge einer Strategischen Frühaufklärung. In: Strategische Unternehmungsplanung, hrsg. Von Hahn, Dietger – Taylor, Bernhard, 5. Aufl., Heidelberg 1990, S. 337ff.

(18) Vgl. Felscher, Klaus: Krisenursachen, a.a.O., S. 180.

(19) Vgl. Raffée, Hans – Wiedmann, Klaus-Peter: Grundstruktur marketingorientierter Frühaufklärungssysteme und Ansatzpunkte zur Entwicklung kontrollorientierter Frühaufklärungsprogramme, Arbeitspapier Nr. 65, Institut für Marketing, Universität Mannheim, Mannheim 1988, S. 13.

(20) Vgl. Männel, Wolfgang: Erlösrechnung; in: krp – Kostenrechnungspraxis, Wiesbaden 1990, Nr. 4, S.253ff.

(21) Vgl. Felscher, Klaus: Krisenursachen, a.a.O., S. 311ff.

(22) Vgl. Gans, Christian – Reiß, Michael: Diagnostisches Rechnungswesen: Die Nutzung der Kostenrechnung zur Erkennung betrieblicher Handlungsnotwendigkeiten; in: krp – Kostenrechnungspraxis, Wiesbaden 1986, Nr. 3, S. 95ff., hier S. 98.

(23) Vgl. Horváth, Péter – Mayer, Reinhold: Prozeßkostenrechnung – der neue Weg zu mehr Kostentransparenz und wirkungsvolleren Unternehmensstrategien; in: Controlling, München/Frankfurt 1. Jg. (1989), Nr. 4, S. 214-219, hier S. 216.

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